Mein Erlebnisbericht vom Staffelmarathon Berlin (Flughafen Tempelhof), 18.11.2012
Herrlich.
Sonntagmorgen, 5 Grad, feuchtkalt, grauer Himmel. Perfektes
Läuferwetter! Zumindest, wenn man nicht so viel schwitzen will und
trotzdem Bock auf Wettkampflaufen hat. Gut 7.500 Läufer in über 1.000
Staffeln geben sich heute ein läuferisches Stelldichein auf dem
ehemaligen Flughafen Tempelhof, der nun eine Art großer (unbepflanzter)
Volkspark ist.
Und ich habe ein sehr ehrgeiziges Ziel für heute!
Vorgenommen
habe ich mir dieses Ziel bereits ein Jahr zuvor, sozusagen als
sportliche Herausforderung für 2012. Dass mich zwischenzeitlich ein
Bandscheibenvorfall 3 Monate aus dem (Lauf-)Verkehr gezogen hat konnte
mich zwar vorübergehend aufhalten, aber nicht bremsen! Und so ging´s ab
September diszipliniert nach Steffny´s "10 km in 49 Minuten"-Plan an
mein 12,2-Kilometer-Ziel 2012: eine Stunde Laufzeit! (Ach übrigens, 1
Jahr zuvor lief ich die 12,2 in 1:13).
Okay, heute also gilt
es: haben die gut 8 Wochen gezielter Vorbereitung etwas gebracht? Ich
fühle mich gut gerüstet, das ist doch schon mal die halbe Miete.
Mit
insgesamt 20 Läufern besteht unsere Mannschaft aus 4 Staffeln á 5
Läufer, wobei sich die Gesamtdistanz von 42,2 km folgendermaßen
aufteilt: pro Staffel je 1x 12,2/ 2x 10/ 2x 5 km. Pünktlich um 10:30
fällt für die "Erstläufer" der Staffel (12,2 km), also auch für mich,
der Startschuss.
*Knall!* Forerunner gestartet und los. Bloß nicht zu
schnell, sonst fehlt´s hinten raus an Reserven. Mann, ich laufe IMMER
zu schnell los! Ist aber auch schwer, wenn um mich herum alle lospesen.
Zumindest nach der etwas zähen Startphase, denn knapp 1.000 Läufer
wollen erstmal bewegt werden.
Dass mir da etwas (Brutto-)Zeit
verloren geht realisiere ich erst später. Der Start im Flughafenhangar
sorgt für einen messtechnisch ungünstigen Umstand, GPS geht nämlich
zunächst nicht. Das ändert sich 200 Meter weiter, lässt aber dennoch
erst mal keine verlässlichen Rückschlüsse auf die Laufzeit zu.
Das
"Kilometer 1"-Schild rückt ins Blickfeld, Durchlaufzeit: 5:10 (wobei,
da wir die 200 m gleich am Anfang gelaufen sind, ist beim 1 km-Schild
eigentlich 1,2 km. Die 5:10 sind also tatsächlich minimal
overpaced...). Um die Zielzeit zu schaffen bräuchte ich eine 4:55-er
Pace.
Wow, ich habe im Laufe der Zeit offensichtlich DOCH ein
einigermaßen brauchbares Tempogefühl entwickelt. Ein tempotechnischer
vernünftiger Start. Das freut mich!
Weiter gehts. Vorbei an einer
hochmotivierten Trommlertruppe, die mich ungewollt in einen Laufrhythmus
zwingt, führt die meditative (=völlig abwechslungsfreie) Strecke nun
hinaus auf´s ehemalige Flugfeld. "Tempelhof. Unendliche Weiten. Dies
sind die Abenteuer..." `Tschuldigung, meine Gedanken schweifen ab. Gibt
ja auch sonst nicht viel zu sehen, außer einem weiten, schier
endlosen Flughafengelände.
Die nächsten 5 Kilometer beschäftige
ich mich damit, wer so ungefähr meine Pace läuft, um mich an
den-/diejenige ´ranzuklemmen. Ich finde einen, der mit einem lustigen
Wikingerhelm gestartet ist. Nach 6 Kilometern ist die erste Runde
geschafft, und ich passiere den Startpunkt. Meine (späteren)
Staffel-Mitläufern jubeln mir zu, das gibt mir auf jeden Fall gleich
nochmal einen Adrenalinschub! Außerdem habe ich mich gut in den
Wettkampf reingefummelt, meine Pace gefunden und den aus längeren
Trainingsläufen geliebten Flow erreicht.
Dennoch macht mich der
Gedanke an " _die gleiche Strecke nochmal in der gleichen
Geschwindigkeit oder sogar etwas schneller_ " ein bisschen, sagen wir
mal, fertig. Lieber Kopf, lass mich jetzt nicht im Stich, ja? Ich meine,
der Körper macht auch ganz toll mit, das schaffst du doch auch, oder?!?
Gucken wir mal: Waden:Check! Füße:Check! Oberschenkel:Hmmm-NunJa
--Check! Na siehste, alles super!
Die Trommlertruppe trommelt noch
immer, das Flugfeld sieht noch immer genau so aus, mein Wikingerläufer
holt noch Temporeserven aus der Tasche (oder den Beinen), die ich zur
Zeit nicht mitgehen möchte (und brauche), ich bin jetzt allein. Okay,
nach Kilometer 8 zieht sich die Strecke nun doch etwas in die Länge. Bin
ich bald da? Bin ich bald da? Bin ich...
Und da merke ich es:
kurz vor Kilometer 9 eine (zum Glück latente) leichte Übelkeit! Selbige
nimmt dummerweise allmählich zu. Was jetzt? Kopf an Körper: okay, wenn
du k... musst, gerne, aber stehengeblieben wird nicht! Ach, liebe Beine,
ein klitzekleines bisschen mehr Tempo wäre schön, der letzte Kilometer
war fast 20 Sekunden unter Schnitt, und wir wollen doch die Stunde,
nicht wahr? Jetzt übernimmt also der Kopf, wenn der Körper ins
Leistungsloch fällt. Faszinierende Erfahrung!
Bei Kilometer 11,
fast 10 echt quälende Minuten später, habe ich mich an dieses
Übelkeitsgefühl -gewöhnt- angepasst, scheinbar bleibt der Mageninhalt
drin. Aber jetzt ist es wirklich Kampf, meine Motivation ziehe ich aus
der theoretisch immer noch vorhandenen Zielvorgabe. Auf den
Kilometer-Schnitt fehlen mir jetzt 10 Sekunden für die Stunde Zielzeit,
das klingt nicht viel, erscheint mir aber völlig unerreichbar.
Meine
Kraft, körperlich und inzwischen auch mental, neigt sich dem Ende zu,
zum Glück auch allmählich der Lauf! Der letzte Kilometer ist eine
Mischung aus Tortur, finalem Motivationsschub, eines der großen Ziele
(für mich) in diesem Jahr vor den Augen, ein ständiger Wettstreit von Geht / Geht nicht! in meinem Kopf und meinen Beinen, und dann-----
ZIEL DURCHLAUFEN!!!!
Forerunner stoppt bei 1:01, und vor lauter
Erschöpfung verpasse ich meinen Nachfolgeläufer, Staffelübergabe heißt
hier _Abklatschen und los_ . Was solls, er wird mich schon gesehen haben
und losgelaufen sein. Ist mir tatsächlich in diesem Moment völlig egal.
Aber
nur kurz, denn schließlich geht´s am Ende ja auch ums Staffelergebnis.
Also: zurück und Kollege gesucht. Er hat mich wirklich übersehen. Naja,
jetzt läuft er mit knapp 5 Minuten "Verspätung" los. Das sollte nächstes
Mal besser klappen...
Insgesamt war es ein beeindruckendes
und tolles Erlebnis, insbesondere nach Ansicht meiner offiziellen
*Brutto-Zielzeit* von (kein Scherz, online überprüfbar ;-)) *1:00:02*.
Außerdem ist "meine" Staffel (von unseren 4 Mannschafts-Staffeln) die
schnellste gewesen, trotz missglückter Übergabe von mir- TOLL!!!!
Bleibt nur noch eine Sache: was, zum Teufel, ist eine IKS?
Die
Antwort ist simpel. Ich habe sie beim Nachforschen von "Übelkeit im
Wettkampf" in einem Forum gefunden: das ist die "Individuelle
KotzSchwelle", die bei Erreichen von persönlichen Leistungsgrenzen
schon mal spürbar sein kann!
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